The Beginner’s Guide ist ein von Davey Wreden entwickeltes Meta-Spiel, zu dem wahrscheinlich nie genug gesagt sein wird. Es handelt von einem virtuellen Davey Wreden, der die Spiele eines anderen Programmierers vorstellt und der darüber verstehen möchte, um was es sich für eine Person bei diesem anderen Programmierer handelt. Dabei werden verschiedene auf der Source-Engine basierende Spiele gezeigt und Interpretationen angeboten.
The Beginner’s Guide hebt sich von anderen Spielen durch zwei besondere Merkmale ab: Zum einen handelt es sich um eines der ersten Spiele, die eine Kuration inhaltlich verarbeiten (eine Person stellt Computerspiele in einem Computerspiel vor und äußert seine Gedanken dazu); zum anderen entwickelt das Spiel ein starkes Verhältnis zwischen Konsument, Autor und Kritiker und bespricht damit das Paradoxon des Verstehens: Wie können wir davon ausgehen, jemanden überhaupt jemals zu verstehen, wenn wir doch andere Erfahrungen als diese Person gemacht haben und dadurch eine andere Wahrnehmung besitzen?
Atmosphäre: Wir befinden uns in einem künstlich geschaffenen Rahmen, in dem uns die Computerspiele vorgestellt werden. Dieser Raum ist durch die Nähe des zu uns sprechenden Erzählers gekennzeichnet. Das gesamte Spiel findet innerhalb dieses Konstrukts statt, in dem wir immer wieder von Spiel zu Spiel wechseln. Uns wird dadurch eine gewisse Sicherheit vermittelt, weil wir als Spieler darüber Bescheid wissen, dass es sich um einen virtuellen Raum handelt. Diese Sicherheit kommt nach und nach durch die einzelnen Spiele und die Erzählung des virtuellen Wreden ins Wanken. In den Spielen wird durch die gesprochenen Interpretationen und die spielerischen Eingriffe des virtuellen Wreden eine eher düstere Stimmung vermittelt.
Ästhetik: Die relativ schlicht gewählten Texturen der einzelnen Spiele unterstützen deren experimentellen Charakter. Alles wirkt sehr glatt und aus vorgefertigten Teilen zusammengesetzt, was das Gefühl eines Hobby-Programmierers unterstützt. The Beginner’s Guide wirkt dadurch genau so, wie es wirken muss, um die Illusion eines Experiments zu verwirklichen. Ein besonderes Merkmal sind die Köpfe der meisten Menschen, die durch Blöcke dargestellt werden. Diese unterstützen zu einem großen Teil das Thema der Entpersonifizierung, die durch das Herausgreifen einzelner Elemente stattfindet und entgegen dem Ziel des Erzählers steht, eine Person verstehen zu wollen.
Mechanik: The Beginner’s Guide ist ein außergewöhnliches Beispiel für spielmechanische und narratologische Entscheidungen. Ich könnte Wochen damit zubringen, die genauen Techniken zu entschlüsseln. Bis dahin möchte ich ein paar sehr prägnante ausgewählte Beispiele vorstellen, die The Beginner’s Guide zu etwas Einzigartigem machen: 1. Unglaubwürdiger Erzähler: Je mehr wir über den virtuellen Wreden erfahren, desto mehr wird uns bewusst, dass unser Kurator es nie geschafft hat, die Werke, die er vorstellt, zu verstehen. Und es scheint die zentrale Frage des Spiels zu sein, ob man als Kritiker oder Konsument jemals irgendetwas verstehen kann. 2. Meta-Kommunikation und Durchbrechung der vierten Wand: Der virtuelle Wreden spricht direkt zu uns und schafft so eine direkte Kommunikation mit uns als Menschen und nicht mit uns als Spielfigur. Dadurch werden wir direkt in die Erfahrung integriert und sind nicht nur deren Zuschauer. 3. Pseudo-Dokumentation: Der virtuelle Wreden gibt vor, der echte Davey Wreden zu sein, gibt eine E-Mail-Adresse an und bittet um eigene Interpretationsvorschläge als Bestandteil der Schaffung der Spielwirklichkeit. Es wird dadurch ein anfängliches Ziel zur besseren Identifizierung mit dem Spielgeschehen vorgestellt.
4. Meta-Design: Einzelne Level werden als eigenständige Spiele bewertet, die eine eigenständige Interpretation erfordern. Der Spieler wird dazu angehalten, unterschiedliche Teile eines größeren Ganzen wahrzunehmen, als Gleichnis zu dem Menschen, der hinter den Einzelspielen steckt. 5. Leveldesign zeigt Gefühlszustände: Je näher wir dem Ende kommen, desto stärker korreliert das Leveldesign mit den Gefühlen, die der virtuelle Wreden empfindet. Sehr deutlich am Ende, bei dem der virtuelle Wreden seinen Zusammenbruch erlebt. Gleichzeitig spiegelt das Leveldesign früherer Szenen die auf den anderen Programmierer projizierten Gefühle des virtuellen Wreden, so zum Beispiel die ausgewählten Spiele mit den Straßenlaternen. Das führt zu einer Synchronität und Glaubwürdigkeit des Erzählers, die sich später allerdings auflöst. 6. Rückwärts laufen als Zukunftsallegorie: Jedes einzelne Spiel hat eine Reihe von interessanten Ideen. Das Rückwärtslaufen als Allegorie für die Zukunft ist mir dabei am meisten im Gedächtnis geblieben. Wenn wir rückwärts laufen, sehen wir nur den Weg, von dem wir gekommen sind, wir sehen aber nicht die Zukunft, die noch vor uns liegt. Dennoch laufen wir. 7. Ordnung schaffen, um Sicherheit zu erlangen: Ein Level des Spiels beinhaltet einen endlosen Kreislauf, bei dem es darum geht, in verschiedenen Zimmern in einem Haus aufzuräumen. Wenn man jedoch in einem Zimmer fertig ist, wird ein bereits aufgeräumtes Zimmer wieder unordentlich. Diese Mechanik spielt gleich mit drei interessanten Motiven: Endlose Kreisläufe als Bestandteil des Alltags; Veränderungen, wenn wir wegschauen; Ordnung als meditativer Weg zu Sicherheit.
Fazit: Ich denke, dass es sich bei The Beginner’s Guide um eines der großen kreativen Werke unserer Zeit handelt. Und das in einem Jahr, in dem es für mich noch nicht einmal das beste Computerspiel war. The Beginner’s Guide schafft es, durch viele kleine Nuancen eine Stimmung aufzubauen, die ich so in noch keinem anderen Computerspiel gesehen habe. Dabei hatte mich das Spiel bereits in dem Moment, als es noch darum ging, nur die Spiele von jemand anderem in einem kombinierten Spiel zu interpretieren. Allein diese Idee hätte das Spiel zu etwas Außergewöhnlichem gemacht. Dass jedoch darüber hinaus versucht wird, diese Prämisse gleichzeitig kritisch zu hinterfragen und allen Kritikern ins Gesicht zu brüllen: Möglicherweise gibt es keinen Weg, etwas zu verstehen und ihr solltet aufhören, es zu versuchen! Ihr solltet aufhören, euch über das Werk von anderen zu definieren! Ihr solltet aufhören, etwas zu erklären, das nicht erklärt werden kann!
Und jeder, der versucht The Beginner’s Guide zu erklären, fällt genau in diese Falle, die das Spiel aufgestellt hat. Denn wenn ich versuche das Spiel zu erklären, dann denke ich doch, dass ich es verstanden hätte und dieses Verständnis anderen mitteilen könnte. Dann wäre ich aber nicht besser als der virtuelle Wreden, vielleicht ein Stalker, der etwas so interpretiert, wie er es gern sehen würde, damit seine eigenen Überzeugungen sich darin widerspiegeln. Und egal zu welchen Schlussfolgerungen ich komme, ich bleibe stecken. Für mich ist das Spiel damit ein perfektes Beispiel für ein Paradoxon: Egal, wie nah wir einem Werk durch das immer wieder erneute Interpretieren kommen, wir schaffen nur Möglichkeiten. Und diese Möglichkeiten sind nur deshalb interessant, weil sie anderen Menschen neue Wege offenbaren, die Welt zu betrachten; nicht weil das Werk diese Überzeugungen unbedingt in sich selbst besitzt, sondern weil die Argumente die einer Interpretation folgen, überzeugend genug waren, um nicht widerlegt zu werden. Und diese Erkenntnis durch dieses Spiel repräsentiert zu sehen, ist atemberaubend.
Unabhängig davon, ob es sinnvoll ist, das Spiel so zu betrachten, besteht natürlich immer noch die Gegenseite, die Seite des Autoren. Und diese Seite ist letztendlich auch diejenige, die mich wohl am meisten fasziniert, weil ich selbst darin gefangen bin und wohl niemals eine Antwort finden werde. Wie gehe ich mit dem eigenen kreativen Schaffen um? Was sehe ich in meinen eigenen Werken, wenn ich sie Jahre später interpretieren soll? Sehe ich mich selbst noch darin, oder bin ich jemand anderes geworden? Und wenn ich jemand anderes geworden bin, warum überhaupt? Das ist The Beginner’s Guide für mich.